zu Lied 15
Wilhelm Müller (*1794+1827): Am Brunnen vor dem Tore. In: Wanderlieder. Die Winterreise. In 12 Liedern. 1823
Am Brunnen vor dem Thore
Da steht ein Lindenbaum:
Ich träumt’ in seinem Schatten
So manchen süßen Traum.
Ich schnitt in seine Rinde
So manches liebe Wort;
Es zog in Freud und Leide
Zu ihm mich immer fort.
Ich mußt’ auch heute wandern
Vorbei in tiefer Nacht,
Da hab’ ich noch im Dunkel
Die Augen zugemacht.
Und seine Zweige rauschten,
Als riefen sie mir zu:
Komm her zu mir, Geselle,
Hier findst Du Deine Ruh’!
Die kalten Winde bliesen
Mir grad’ in’s Angesicht;
Der Hut flog mir vom Kopfe,
Ich wendete mich nicht.
Nun bin ich manche Stunde
Entfernt von jenem Ort,
Und immer hör’ ich’s rauschen:
Du fändest Ruhe dort!
Fritz Reuter (*1810+1874) : De Eikboom. 1860
Ik weit einen Eikboom, de steiht an de See;
De Noordstorm de bruust in sien Knäst;
Stolt reckt hei sien mächtige Kroon in de Höh;
So is dat al dusend Johr west.
Kein Minschenhand de hett em plant;
Hei reckt sik von Pommern bit Nedderland.
Ik weit einen Eikboom vull Knorrn un vull Knast,
Up den fött kein Biel nich un Äxt.
Sien Bork is so ruug, un sien Holt is so fast,
As wier hei mal bannt un behext.
Nix hett em daan, hei ward noch stahn,
Wenn wedder mal dusend von Johrn vergahn.
Un de König un siene Frau Königin
Un sien Dochter, de gahn an den Strand.
?Wat deit dat för 'n mächtigen Eikboom sien,
De sien Telgen reckt aever dat Land?
Wer hett em pleegt, wer hett em heegt,
Dat hei siene Bläder so lustig röögt??
Un as nu de König so Antwuurt begehrt,
Trett vör em en junge Gesell:
?Herr König, Ji hefft Ju jo süs nich drüm scheert,
Jug Frau nich un Juge Mamsell!
Kein vörnehm Lüüd, de hadden Tiet,
Tau seihn, ob den Boom ok sien Recht geschüht.
Un doch gräunt so lustig de Eikboom upstunns;
Wi Arbeitslüüd hewwen em wohrt;
De Eikboom, Herr König, de Eikboom is uns,
Uns plattdüütsche Spraak is 't un Oort.
Kein vörnehm Kunst hett s' uns verhunzt;
Fri wüssen s' tau Hööchten ahn Königsgunst.?
Rasch gifft em den König sien Dochter de Hand;
?Gott seg'n Di, Gesell, för dien Reed!
Wenn de Stormwind eins bruust dörch dat düütsche Land,
Denn weit ik ne sekere Steed:
Wer eigen Oort fri wünn un wohrt,
Bi den is in Noot ein tau 'n besten verwohrt.?
zu Lied 18 Seikilos- Stele (zwischen 117 und 200 angefertigt)
Ich bin ein Bild
in Stein; Seikilos stellte
mich hier auf,
in ewiger Erinnerung,
als zeitloses Symbol.
Solange du lebst, tritt auch in Erscheinung.
Traure über nichts
zu viel. Eine kurze Frist
bleibt zum Leben.
Das Ende bringt die
Zeit von selbst.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Seikilos-Stele (26.10.2020)
zu Lied 19 Konrad von Würzburg: Gar bar lit. In: Codex Manesse, 13. Jh.
Übersetzung von Anna Kathrin Bleuler in: Der Codex Manesse: Geschichte, Bilder, Lieder. CH Beck. 2018
Ganz kahl liegt
weit der kalte Wald.
Schnee tut weh.
Glut sei bei mir!
Gras war einst.
Klee entsprang hell.
Blütenpracht erstrahlte.
Ein Gebüsch umhegte sie.
Schöne Melodien erklangen
den jungen Leuten. Liebkosungen
verstärkten ihnen die Minne
Wunderbar abgesondert
befreite ungezügelte Körper
die Heide, die Weide von ihrem Kummer.
Da saßen froh, die
sich ihrem Begehren hingeben wollten
Geliebte Braut, sieh
mich an. Es
wird einem geholfen da,
wo du nun bist.
Dein heller Glanz
gibt Hochgestimmtheit
dem, dessen
Schmerz sehr stark ist.
Süße vertreibe das Trauern!
Bitteren Schmerz
mache ganz klein!
Kluge bewirke Schönes!
Vermehre den Lohn!
Lindere neue Betrübnis!
Verleih mir ein großes Gut!
Liebe Frau, mein Flehen gilt dir
Zu Lied 20
Das hat mit nordrheinwestfälischen Politikern zwar was zu tun, aber definitiv nicht mit Armin Laschet (*1961)
zu Lied 21 Theodor Fontane (*1819+1898) : Wo Bismarck liegen soll, 1898
Wo Bismarck liegen soll.
(Geschrieben am 31. Juli 1898.)
Nicht in Dom oder Fürstengruft,
Er ruh’ in Gottes freier Luft
Draußen auf Berg und Halde,
Noch besser tief, tief im Walde;
Widukind lädt ihn zu sich ein:
„Ein Sachse war er, drum ist er mein,
Im Sachsenwald soll er begraben sein.“
Der Leib zerfällt, der Stein zerfällt,
Aber der Sachsenwald, der hält,
Und kommen nach dreitausend Jahren
Fremde hier des Weges gefahren
Und sehen, geborgen vorm Licht der Sonnen,
Den Waldgrund in Epheu tief eingesponnen,
Und staunen der Schönheit und jauchzen froh,
So gebietet einer: „Lärmt nicht so! –
Hier unten liegt Bismarck irgendwo.“
zu Lied 22 Jacob (*1785+1863) und Wilhelm Grimm (*1786+1859) : Nr. 21 Aschenputtel, in: Kinder- und Hausmärchen, 1812
[…]Als nun niemand mehr daheim war, ging Aschenputtel zu seiner Mutter Grab unter den Haselbaum und rief:
Da warf ihm der Vogel ein golden und silbern Kleid herunter und mit Seide und Silber ausgestickte Pantoffeln[…]
Jacob und Wilhelm Grimm: Nr. 24 Frau Holle, in: Kinder- und Hausmärchen, 1812
Darnach ging es weiter und kam zu einem Baum, der hing voll Aepfel und rief ihm zu: „ach! schüttel mich! schüttel mich! wir Aepfel sind alle miteinander reif!“ Da schüttelt’ es den Baum, daß die Aepfel fielen, als regenten sie, solang bis keiner mehr oben war, darnach ging es wieder fort.
Friedrich Hölderlin (*1770+1843) , Hälfte des Lebens, 1804
Hälfte des Lebens
Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.
Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.
Theodor Fontane: Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, 1889
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: »Junge, wiste 'ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.«
So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit;
Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab.«
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen »Jesus meine Zuversicht«,
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
»He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?«
So klagten die Kinder. Das war nicht recht -
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn' ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.
Und die Jahre gingen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet's wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,
So flüstert's im Baume: »Wiste 'ne Beer?«
Und kommt ein Mädel, so flüstert's: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn.«
So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.
Wilhelm Willms: Erde kleines Schaukelschiff 1979
Erde, kleines Schaukelschiff, nussschalengroß, treibt im dunklen Weltenraum, der so uferlos.
Erde, großes Menschenschiff, mussschalenklein, wer wird durch Gefahren groß unser Lotse sein?
Erde, gutes Mutterschiff, Arche fragenvoll, sag doch einer, wie und wann alles enden soll.
Erde, kleines Schaukelschiff, sieh wer zu dir steigt, frag ich, ob er weiter weiß und die Richtung zeigt.
Erde, kleines Schaukelschiff, nussschalengroß, treibt im dunklen Weltenraum, der so uferlos.
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Der Birnenschmaus, 1857
So komm, du lieber Sonnenschein,
Lass unsre Birnen gut gedeih'n!
Und wenn sie gelb geworden sind,
Dann komm und wehe, lieber Wind!
Komm, Wind, und schüttle jeden Ast
Und lad' uns alle samt zu Gast!
Dann eilen wir zum Haus hinaus
Und halten einen Birnenschmaus.
Volkstümlich: Dunkel war‘s, der Mond schien helle
Dunkel war's,der Mond schien helle,
schneebedeckt die grüne Flur,
als ein Auto blitzesschnelle
langsam um die Ecke fuhr.
Drinnen saßen stehend Leute
schweigend ins Gespräch vertieft,
als ein totgeschossner Hase
auf der Sandbank Schlittschuh lief.
Und der Wagen fuhr im Trabe
rückwärts einen Berg hinauf.
Droben zog ein alter Rabe
grade eine Turmuhr auf.
Ringsumher herrscht tiefes Schweigen,
und mit fürchterlichem Krach
spielen in des Grases Zweigen
zwei Kamele lautlos Schach.
Und auf einer roten Bank,
die blau angestrichen war,
saß ein blondgelockter Jüngling
mit kohlrabenschwarzem Haar.
Neben ihm ne alte Schrulle,
die kaum siebzehn Jahr alt war,
in der Hand ne Butterstulle,
die mit Schmalz bestrichen war.
Oben auf dem Apfelbaume,
der sehr süße Birnen trug,
hing des Frühlings letzte Pflaume
und an Nüssen noch genug.
Von der regennassen Straße
wirbelte der Staub empor.
Und ein Junge bei der Hitze
mächtig an den Ohren fror.
Beide Hände in den Taschen
hielt er sich die Augen zu.
Denn er konnte nicht ertragen,
wie nach Veilchen roch die Kuh.
Und zwei Fische liefen munter
durch das blaue Kornfeld hin.
Endlich ging die Sonne unter
und der graue Tag erschien.
Holder Engel, süßer Bengel,
furchtbar liebes Trampeltier.
Du hast Augen wie Sardellen,
alle Ochsen gleichen Dir.
Volkstümlich: Spannenlanger Hansel, nudeldicke Dirn
Gehn wir in den Garten, schütteln wir die Birn'!
Schüttel ich die großen, schüttel ich die klein'
Wenn das Säcklein voll ist, gehn wir wieder heim.
Lauf doch nicht so schnelle, spannenlanger Hans!
Ich verlier die Birn' und die Schuh' noch ganz!
Trägst ja nur die kleinen, nudeldicke Dirn
Und ich schlepp den schweren Sack mit den großen Birn'.
Wolf, Ludwig und James: An de Eck steiht `n Jung, 1911
An de Eck steiht ´n Jung mit´n Tüddelband
in de anner Hand ´n Bodderbrood mit Kees,
wenn he blots nich mit de Been in´n Tüddel kümmt
un dor liggt he ok all lang op de Nees
un he rasselt mit´n Dassel op´n Kantsteen
un he bitt sick ganz geheurig op de Tung,
as he opsteiht, seggt he: hett nich weeh doon,
ischa ´n Klacks för ´n Hamborger Jung
Jo, jo, jo, Klaun, klaun, Äppel wüllt wi klaun,
ruck zuck övern Zaun,
Ein jeder aber kann dat nich, denn he mutt ut Hamborg sien.
An de Eck steiht ´n Deern mit´n Eierkorf
in de anner Hand ´n groote Buddel Rum
Wenn se blots nich mit de Eier op dat Plaaster sleit
un dor seggt dat ok al lang "bum bum".
Un se smitt de Eiers un den Rum tosomen
un se seggt "so'n Eiergrog den hebb ik geern"
as se opsteiht, seggt se: "hett nich weeh doon,
ischa´n Klacks för´n Hamborger Deern
Jo, jo, jo, Klaun, klaun, Äppel wüllt wi klaun,
ruck zuck övern Zaun,
Ein jeder aber kann dat nich, denn he mutt ut Hamborg sien.